Spricht jemand von “Gender”, wird häufig gelächelt – und leider im Anschluss selten weiter gedacht. Am 6. und 7. Oktober 2016 fand die 2. Münchner Frauenkonferenz statt. Unter dem – zugegeben sperrigen – Titel „Haushalt fair teilen“ ging es um Gender, um Geld und um Gender Budgeting.
Eindrücke von Barbara Streidl
“Familie statt Gender” – diese Plakate habe ich in den letzten Monaten an einigen Stellen in München gesehen, sie warben für die AfD, zahlten ein auf das Unbehagen, das mit dem Begriff “Gender” einhergeht. “Gender” riecht nach Emanzen, nach Feminismus, nach der Gleichmachung der Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Spricht jemand von “Gender”, wird häufig gelächelt oder erklärt – und leider im Anschluss selten weiter gedacht. Was schlecht ist!
Gender Budgeting, was ist das eigentlich?
Dass sich das Weiterdenken auszahlt, zeigt die 2. Münchner Frauenkonferenz. Hinter der Überschrift “Haushalt fair teilen – Gleichstellungsorientierte Steuerung öffentlicher Finanzen”, die zugegeben einigermaßen sperrig klingt, steckt der noch viel sperrigere Begriff Gender Budgeting. So zungenbrecherisch das auch daherkommt, so wichtig ist es doch: Gender Budgeting, so definierte die UN-Frauenkonferenz 1995 in Peking, ist “Gender Mainstreaming auf Finanzebene”. Noch etwas, das nicht allen geläufig ist. Dem umfangreichen Begleitmaterial der Konferenz entnehme ich ein gutes Beispiel für Gender Budgeting:
„Öffentliche Ausgaben wirken sich auf die Lebensbedingungen von Frauen und Männern aus. … Beispielsweise müssen fehlende Investitionen in Kinderbetreuung und Pflege privat aufgefangen werden und führen in der Regel zu mehr unbezahlter Arbeit von Frauen. Dies trägt zur Altersarmut von Frauen bei und belastet in Folge die Sozialkasse des kommunalen Haushalts.“
Die erste Rednerin ist Christine Strobl, Münchens dritte Bürgermeisterin. Wie werden unsere Gelder ausgegeben, wie sollten sie ausgegeben werden, um Frauen ein gutes Leben in München zu ermöglichen, fragt sie das Publikum. Wo spare ich Geld ein – und wen treffe ich damit?
Prinzenlehrgänge sind out
Strobl stellt die Bedeutung der Transparenz kommunaler Haushalte heraus: Städtische Karriere-machen-Kurse etwa, die früher “Prinzenlehrgänge” genannt wurden, richten sich heute auch und im Besonderen an Frauen. Daneben nennt sie die Förderung von Sportangeboten in der Stadt: Fußball – das spricht nicht unbedingt junge Mädchen an. Reiten? Wirklich? In der Kommune? Strobl freut sich über die Heiterkeit des Publikums an dieser Stelle und weist auf die Ernsthaftigkeit des Gender Budgetings hin: Es geht ihr darum, Druck aufzubauen, und nicht zu verharren in Diskussionen über Quoten in Aufsichtsräten oder die Neubenennung von Straßen nach Frauen.
“Es gibt nichts Gutes, außer Mann oder Frau tut es”
Nach Christine Strobl betritt Dr. Ernst Wolowicz das Podium; er ist Stadtkämmerer, oder Finanzdezernent, kümmert sich also um die Finanzen der Landeshauptstadt. Seine Fragen gehen in die Richtung seiner Vorrednerin: Was bewirken wir mit unserem Handeln für die Bürgerinnen und Bürger? Er gendert sogar Erich Kästners Zitat “Es gibt nichts Gutes, außer Mann oder Frau tut es” – und weist darauf hin, dass München pro Jahr um 25.000 Menschen wächst. Eine gerechtere Verteilung der Gelder für diese Menschen sei, so Wolowicz, durchaus noch möglich. So sind etwa ¾ der Menschen, die von der Landeshauptstadt ein Preisgeld erhalten, Männer.
Lydia Dietrich, Vorsitzende der Gleichstellungskommission, übernimmt dann das Mikrofon. Sie weist darauf hin, dass Haushaltspolitik leider zu selten und häufig ungern unter Geschlechteraspekten betrachtet wird. Typische Einwände seien der hohe Aufwand. Ein Antrag wie etwa der Wunsch nach geschlechtergerechten Kriterien bei der Gestaltung von öffentlichen Spielplätzen ziehe Pressehäme nach sich: „Haben die nichts Besseres zu tun?“ Dass Mädchen mit Sicherheit häufig andere Bedürfnisse auf einem Spielplatz haben als Jungen ist aber nichts Lächerliches.
Parole: Kurs halten!
Den offiziellen Eröffnungsvortrag der Konferenz hält Ulrike Hauffe, Vorsitzende des Ausschusses für Frauen- und Gleichstellungsangelegenheiten des Deutschen Städtetags. Die Bremerin nennt als Überschrift ihrer Bestandsaufnahme zur Gleichstellungspolitik die Parole “Kurs halten!”. Das Rollenbild „der Frau“ in Deutschland sei paradox bis zur Karikatur und stehe in Kontrast zu den Wünschen nach neuen Rollenbildern der jüngeren Generation: Mit den Traditionen brechen, geschlechterübergreifend – neue Männer und Frauen braucht das Land!
Klötze am Bein der Gleichstellung sind ihrer Meinung nach das Ehegattensplitting, das Betreuungsgeld, der schleppende Kita-/Ganztagsschulausbau und die Anerkennung von Erwerbsarbeit, nicht aber von Sorgearbeit. Hauffe sagt, dass etwa ihre Tochter kein so „angestrengtes Leben“ mehr führen möchte wie sie, wenn Aussehen, Erfolg und Mutterschaft mit Leichtigkeit „gemeisterint“ werden sollen. Sie führt auch an, dass besonders online viele gegen die alten Traditionen halten, und zwar geschlechterübergreifend. Dann prangert sie das missbräuchliche Anbringen von Fraueninteressen an. Etwa, wenn der bayerische Finanzminister Markus Söder sagt, es führe
„zu sozialen Verwerfungen, wenn der Staat zum Beispiel im Monat 5000 bis 6000 Euro für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ausgeben muss und viele Frauen in Deutschland am Ende eines langen Arbeitslebens nicht ansatzweise Rente in dieser Höhe bekommen.“
Missbräuchlich und unzulässig, weil die beiden Fälle nichts miteinander zu tun haben: Altersarmut von Frauen habe mit dem strukturellen geschlechterbedingten Zugang zum Arbeitsmarkt zu tun, so Hauffe. Dass Gender Budgeting ebenso wie Gender Mainstreaming ein Problem mit dem Labeling, also mit dem Begriff habe, weil “Gender” nicht nur bei Rechtspopulisten, sondern auch in den Leitmedien als suspekt gelte, bestätigt sie. Sie nennt eine Machbarkeitsstudie des Bundesministeriums für Frauen, Senioren und Jugend hinsichtlich des Gender Budgetings, die leider nicht vielen geläufig ist. Und die leider auf jede Menge Ablehnung vonseiten des Bundesfinanzministeriums trifft, so Hauffe.
Keine Fliegenbeine zählen, bitte
Hauffe geht es nicht darum, „Fliegenbeine“ zu zählen, also herauszufinden, wie viele Frauen und Männer präsent sind – sondern es geht ihr darum, die Verhältnismäßigkeit zu untersuchen und Arbeit, besonders Sorgearbeit, neu zu bewerten. Hier stellt sie Fragen etwa zur Aufnahme von Flüchtlingen: Wen sollen Sprachkurse erreichen? Und welche Rollenmodelle kennen Frauen, die ihre Überfahrt nach Europa mit einer Vergewaltigung bezahlt haben?
Dann betritt Klaus Feiler das Podiums, Berliner Finanzstaatssekretär. Er berichtet aus Berlin, das mit 3,4 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern noch mal viel größer ist als München. 55 Prozent der Landeseinnahmen sind eigene, der Rest kommt von außen: Berlin ist finanziell schwach auf der Brust.
Kein Gedöns, nirgends
Aber: „In Berlin sagt niemand mehr ‘Gedöns’“, erklärt Feiler, da alle verstanden haben, dass Gender Budgeting nichts aus der „Frauenecke“ ist, sondern alle etwas angeht. Seit 2002 beschlossen, ist das Prinzip in allen Prozessen enthalten. So kann über eine genderpolitische Steuerung etwa bei der Kulturförderung erkannt werden, dass städtische Musikschulen mehr Musiklehrer benötigen, um auch Jungen zu erreichen. Ob die dann eher Schlagzeug spielen oder vielleicht auch mal Geige oder Querflöte, die typischen „Mädcheninstrumente“, lässt Feiler offen.
Das weitere Programm der Münchner Frauenkonferenz besteht aus Vorträgen, Arbeitsforen und Podiumsdiskussionen.
Meines Erachtens ist es den Veranstaltenden gelungen, den sperrigen Begriff des “Gender Budgeting” und auch die immens positive Auswirkung, die es für eine Kommune, einen Staat, eine Gesellschaft bringen kann, herauszustellen. Somit kann ich das Münchner Motto nur bestätigen: “Für die Richtigen – das Richtige – richtig tun.”
Bleibt die Frage nach denen, die sich beim Prinzip Gender Budgeting nicht angesprochen fühlen, wenn von Frauen oder Männern die Rede ist: Für sie müssen zusätzliche Kriterien gefunden werden.
„Unterschiedliche Rollenzuweisungen bedingen unterschiedliche Lebenssituationen und Chancen. Haushaltsentscheidungen haben in der Regel einen Geschlechteraspekt. Ein Haushalt, der das nicht berücksichtigt, zementiert geschlechtsspezifische Benachteiligungen.“ Nicole Lassal, Gleichstellungsbeauftragte der Landeshauptstadt München
Das Programm der 2. Münchner Frauenkonferenz finden Sie hier.