Ein Nachbericht von Elisabeth Beuttel

„Wir sind immer noch in der Situation im 21.Jahrhundert […] Frauen dürfen nicht lesen, wie ein Schwangerschaftsabbruch gemacht wird.“
(Kristina Hänel, 2.11.19, Seidlvilla München)

Über 55 Interessent*innen fanden sich am 02. November 2019 zur Lesung aus „Das Politische ist persönlich, Tagebuch einer ’Abtreibungsärztin’“ von Kristina Hänel mit anschließender Diskussion in der Seidlvilla ein. Moderiert wurde die Veranstaltung durch Birgit Frank und war eine Kooperation mit der Petra Kelly Stiftung.

Zu Anfang zeigte Kristina Hänel die derzeitige politische Situation für Ärztinnen und Ärzte in Deutschland, resultierend auf dem §219a StGB, auf: Es ist strafbar, wenn eine Praxis etwa online Informationen über Leistungen in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche zur Verfügung stellt – das hat Hänel am eigenen Leib erfahren. Im Anschluss las und diskutierte sie Passagen aus ihrem aktuellen Buch „Das Politische ist persönlich. Tagebuch einer ’Abtreibungsärztin“.

https://www.youtube.com/watch?v=O5OQ081pbME&feature=youtu.be

Kristina Hänel, geboren 1956, ist deutsche Fachärztin für Allgemeinmedizin und Notfallmedizin. Sie praktiziert in ihrer Praxis für Allgemeinmedizin in Gießen und wurde im November 2017 wegen „Werbung für den Abbruch von Schwangerschaft“ (§219a StGB) angeklagt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Paragraf wird seit einigen Jahren von Abtreibungsgegner*innen strategisch genutzt, um Ärzt*innen anzuzeigen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.

§219a StGB: „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ ist ein Tatbestand des deutschen Strafrechtes. Die Norm geht auf §220 des Reichsstrafgesetzbuches in der Fassung vom 1. Juni 1933 zurück. Damit sollten Schwangere vor einer durch Werbung vorangetriebene Kommerzialisierung ihrer Notlage geschützt werden, mit dem Ziel, das Entstehen eines Marktes für Schwangerschaftsabbrüche zu verhindern.

Die wahre Folge ist jedoch ein Verbot der sachlichen und seriösen Informationen über Schwangerschaftsabbrüche durch die durchführenden Ärzt*innen. Der Paragraf verwehrt Frauen mit Informationsbedarf den Zugang zu vollständigen und ausführlichen Informationen über angewandte Methodik und den Ablauf von Schwangerschaftsabbrüchen. Angeregt durch diesen und weitere Fälle angeklagter Ärzt*innen wurde die Diskussion über den Zugang zu Informationen über Schwangerschaftsabbrüche, die angewandten Methodiken und die durchführenden Praxen erneut angeregt.

„…diese Situation war mir im Grunde nicht bewusst, also ich die Ladung zum Gericht bekam“
(Kristina Hänel, 2.11.19, Seidlvilla München)

Sympathisch und sehr persönlich schildert Kristina Hänel ihre Gefühle und Entscheidungen nach Erhalt der Ladung zum Gericht und führt das Publikum damit und mit weiteren Erfahrungsberichten durch einen Teil ihres beeindruckenden Wegs in und durch den Kampf gegen den §219a: Es geht ihr um das Recht auf freie Information und die Würde der Frauen.

Nach aktuellem Beschluss der Bundesregierung bleibt es Ärzt*innen weiter verboten, online über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren. Sie dürfen aber nun zumindest darauf hinweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Für weitere Informationen müssen sie aber auf andere Stellen verweisen.
Da so „die Würde von Frauen, deren Familien und Partnern verletzt wird“ und „Information ein Menschenrecht ist“, wie Kristina Hänel bekräftigt, werden sie und andere den Kampf gegen §219a StGB weiterführen; für ein uneingeschränktes Recht für Frauen auf Information!

Interesse geweckt?

Kristina Hänel befindet sich regelmäßig auf Lesereise durch ganz Deutschland, Informationen über Termine auf ihrem Twitter Account.

Auf der Suche nach Information?

Die studentische Arbeitsgruppe „Medical Students for Choice“ aus Berlin setzt sich für eine Verbesserung der medizinischen Ausbildung zum Schwangerschaftsabbruch ein. Infos zum Thema Schwangerschaftsabbruch gibt es auf ihrer Website.

Lust auf weitere Informationen zu dem Thema?

Wir freuen uns die im Spendenwürfel gesammelten Spenden für die Petition „Solidarität mit Kristina Hänel, Bettina Gaber, Nora Szász und allen anderen nach §219a StGB angeklagten Ärzt*innen“ weiterleiten zu dürfen und bedanken uns bei den fleißigen Spender*innen.