Die Historikerin Miriam Gebhardt hat sich in ihrem neuen Buch „Als die Soldaten kamen“ mit einem der schaurigsten Kapitel der deutschen Geschichte befasst: der Vergewaltigung der deutschen Frauen am Ende des Zweiten Weltkriegs. Gebhardt ist der Meinung, dass „die Linse, mit der wir auf diese Zeit schauen, mal dringend geputzt werden muss“. Sie beschäftigt sich mit dem vermeintlichen Tabuthema und bringt neue Fakten zutage. Über willkürliche oder verweigerte Schwangerschaftsabbrüche nach 1945, über Vergewaltigungen durch die westlichen Alliierten und über die Verdrängung der Gewalttaten in historischer und gesellschaftlicher Hinsicht. Da es längst kein Geheimnis mehr ist, dass deutsche Frauen und Kinder die Schreckensherrschaft des nationalsozialistischen Regimes nicht nur stumm bezeugt haben, gelten diejenigen unter ihnen, die sexuelle Gewalt erfahren haben, bis heute nicht wirklich als Opfer des Zweiten Weltkriegs. Gebhardt nennt zahlreiche, neue Quellen und weist auf große Lücken in der historischen Berichterstattung hin.

Ihre Erfahrungen während der Recherche zum Buch teilte sie in einem kurzen Vortrag, den wir für alle mitgeschnitten haben, die am 20. Mai nicht in der Juristischen Bibliothek dabei sein konnten:

Das Thema Kriegsvergewaltigung ist nicht nur hinsichtlich der Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs brisant, sondern auch in Bezug auf die aktuelle weltpolitische Lage. Vergewaltigung als Kriegswaffe gab es und gibt es – in Ruanda, in Bosnien, im Kongo, in Afghanistan und derzeit in Syrien. Frauen werden in Kriegszeiten zu Körpern, zu Objekten im Feindesland, die ebenso überrannt und zerstört werden müssen wie militärische Einrichtungen, an dieser traurigen Tatsache hat sich bis zum heutigen Tag nichts geändert.

 

Barbara Streidl, Moderatorin des Gesprächs, über den Gesprächsabend in der Juristischen Bibliothek München:

Am 8. Mai 2015 jährte sich das Kriegsende zum 70. Mal, und auch wenn nicht wenige Menschen einen Schlussstrich ziehen möchten unter den Zweiten Weltkrieg, gibt es immer noch Erinnerungen, immer noch Überlebende und immer noch Themen, die aufgearbeitet werden müssen.

So ist es auch mit den Kriegsvergewaltigungen am Ende des Zweiten Weltkriegs, die Miriam Gebhardt in ihrem im Frühjahr 2015 erschienenen Buch „Als die Soldaten kamen“ erstmals umfassend erforscht hat. Ihr Buch hat sie an diesem Abend erstmals in München öffentlich vorgestellt. Dass ihr Thema keinesfalls ein lokales oder ein rein deutsches Thema ist, zeigt auch das große Interesse der internationalen Presse an Gebhardts Buch. Als Historikerin hat sie etwas berührt, das vorher quasi nicht existierte.

Es waren nicht nur die „bösen Rotarmisten“

Eindringlich berichtet die Historikerin über Berichte von Betroffenen, etwa von einer Familie aus Südhessen: Die Großmutter hat erzählt, dass sie am Kriegsende von einem russischen Soldaten vergewaltigt wurde. Irgendwann bemerken ihre Kinder, dass das nicht so gewesen sein kann – in Südhessen waren keine Russen stationiert, wohl aber andere alliierte Soldaten. Die Großmutter konnte die Vergewaltigung nur über diese „Hilfskonstruktion“ des in Westdeutschland gängigen Bildes des „bösen Rotarmisten“ offen legen. Gebhardt weist dabei auch auf die Propaganda von Joseph Goebbels hin, der das russische Volk als minderwertige Rasse und somit als Täter schlechthin stigmatisierte, was sich mit Sicherheit auch in den Köpfen der deutschen Frauen, die sexuelle Gewalt erfahren haben, festgesetzt hatte.

Die Arbeit an dem Buch hat Gebhardts persönliche Sicht auf die eigene Familie auf jeden Fall verändert: In einer Schluss-Bemerkung des Buches erwähnt sie ihre eigene „ängstliche Großmutter aus Freiburg“, die an der „Sexualphobie“ einer Kriegswitwe litt und die „nach dem frühen Tod ihres Mannes zum Leidwesen ihres Umfelds nie wieder den intimen Kontakt mit einem Mann gesucht hat“. Die Großmutter hat ihrer Enkeltochter immer wieder Zeitungsausschnitte mit Berichten über Straftaten an Frauen zugesteckt, damit sie gewarnt ist, weil einem jungen Mädchen viel passieren kann. Gebhardt sieht ihre Großmutter heute mit anderen Augen als damals.

Frauen, eine Belohnung für die Strapazen des Krieges

Mit reger Beteiligung der Anwesenden wird über die Motive der Vergewaltigungen diskutiert: Die Rotarmisten wollten Rache üben an den Deutschen, aber was trieb die US-Amerikaner an? Die ja schon bei der Landung in die Normandie begonnen haben, die Frauen der französischen Verbündeten zu vergewaltigen? Gebhardt weist etwa auf die US-amerikanische Forscherin Mary Louise Roberts hin, die in Militärzeitschriften und Propagandaschriften Hinweise gefunden hat, dass europäische Frauen quasi als Belohnung für die Strapazen des Kriegs in den USA genannt wurden.

Die Vergewaltigungen passierten damals keinesfalls in einem rechtlosen Raum – sie waren verboten: 1944 wurden 152 US-amerikanische Soldaten in Frankreich wegen Vergewaltigungen verurteilt, darunter 139 schwarze. Im schlimmsten Fall wurde Vergewaltigung mit dem Tod bestraft, andere mussten ins Militärgefängnis.

Auch wenn es viele – damals schon illegale – Schwangerschaftsabbrüche gab, wurden doch viele Kinder geboren. Was ist aus ihnen geworden? 90 Prozent der Kinder wuchsen in den Familien ihrer Mütter auf, in einigen Fällen wurde finanzielle Unterstützung beantragt; Gebhardt berichtet etwa über ein damals dafür zuständiges Amt in Freising, das zu prüfen hatte, ob ein Kind wirklich in einer Vergewaltigung gezeugt wurde. Hier erfuhren viele Frauen aufs Neue große Demütigung, da ihre Glaubwürdigkeit in vielen Fällen angezweifelt wurde.

Das Schweigen muss gebrochen werden

Gebhardt weist darauf hin, dass die Vergewaltigungen am Ende des Zweiten Weltkriegs nicht wie die in Ruanda, auf dem Balkan oder aktuell in Nigeria durch Boko Haram als Kriegswaffe zu sehen sind. Damals ging es um etwas anderes, das auch mit der Neuausrichtung der Geschlechter zu tun hat. Männern waren hart, immer im Wettbewerb, Frauen hoch emotional und deswegen auch gefährdet. Im Zuge dessen wurde auch darüber gesprochen, dass die Frauenbewegung in den späten Sechzigern und in den Siebzigern sexuelle Gewalt zwar scharf kritisiert hat – aber nur in Nahbeziehungen und nicht in der Vergangenheit ihrer Elterngeneration. Wahrscheinlich lag das auch daran, dass diese Elterngeneration sich in Schweigen hüllte. Doch um aus der Vergangenheit zu lernen, muss eben dieses Schweigen angemessen gebrochen werden.

 

Literaturhinweis:

Miriam Gebhardt, Als die Soldaten kamen. Die Vergewaltigung deutscher Frauen am Ende des Zweiten Weltkriegs. DVA Sachbuch, März 2015.

Zum Eintrag „Kriegsvergewaltigung“ im Feministischen Lexikon auf fraulila.de.

Links zu Rezensionen und Interviews mit der Autorin:

 

Die Veranstaltung ist eine Kooperation mit der Juristischen Bibliothek München und der Gleichstellungsstelle der Landeshauptstadt München.