Wie erreicht man die junge Generation? Diskussion mit der Autorin Julia Korbik, dem Journalist Nils Pickert und Waltraud Lučić vom Münchner Lehrerinnen- und Lehrerverband; Moderation: Birgit Frank (Bayerischer Rundfunk)
„Mach deine Liegestützen wie ein Junge!“ Über diesen Satz ihres Sportlehrers ärgert sich Julia Korbik bis heute. In ihrer Schulzeit ist das Thema „Feminismus“ nie angesprochen worden. Lediglich ein engagierter Englischlehrer ließ die Klasse Margaret Atwoods „The Handmaid’s Tale“ (auf Deutsch: „Der Report der Magd“) lesen. In diesem dystopischen Roman leben Menschen in einer neuen Ordnung. Nachdem der Feminismus alles „durcheinander“ gebracht hat, ist er nun überwunden: Frauen werden eingeteilt als Gebärerinnen, Dienerinnen und Ehefrauen.
Auch Waltraud Lučić hat in ihrer Schulzeit nie von feministischen Themen gehört. Später als Lehrerin hat sie Bücherkisten für Jungen gepackt, die sich als besonders „leseschwach“ zeigten. Sie erinnert sich auch, dass sie sich damals fragte, ob ein Lehrer dasselbe für leseschwache Mädchen tun würde. Ihrer Erfahrung nach lassen Lehrpläne durchaus Spielräume, um auf spezielle Themen, Bücher oder Personen hinzuweisen – es gäbe also Möglichkeiten, über Frauen oder frauenbezogene Themen zu sprechen. Dass das passiert, hänge aber immer auch von den Lehrkräften ab. Ihrer Meinung nach müssen nicht nur Lehrpläne verändert oder erweitert werden, sondern es muss auch früher, schon in der Lehrerbildung angefangen werden.
Typisch Mädchen, typisch Jungs?
Moderatorin Birgit Frank nennt einen Fall aus Niedersachsen, als eine Lehrerin sich gegen einen Lehrplan aussprach, der für den Geschichtsunterricht 52 Persönlichkeiten vorsah, von denen nur acht weiblich waren. Warum wehrt sich in Bayern niemand gegen vergleichbare Vorgaben? Waltraud Lučić sagt, es gebe eine Empfehlung des bayerischen Kultusministeriums für eine „geschlechtergerechte“ Schule – mit einem „Sind die Buben noch zu retten?“ zwischen den Zeilen. Ihrer Meinung nach wird der Bedarf an geschlechtergerechten Unterrichtsmaterialien und Herangehensweisen von vielen nicht wirklich gesehen.
Nils Pickert, der in seiner Schulzeit weder von der Frauenbewegung noch vom Feminismus gehört hat, wünscht sich einen geschlechtergerechten Unterrichtsalltag und keinen „Heute sprechen wir mal über Frauen in der Literatur“-Projekttag. Er sagt, es gehe darum, zu fragen, „Warum seid ihr nicht dafür?“, dass etwa neben Goethes immer auch Bettina von Arnims Texte gelesen werden. Dass Marie Curie im Physikunterricht erwähnt wird. Dann weist er darauf hin, dass heute, am 11. Oktober, Welt-Mädchentag sei – und dass somit in jeder Schule ein Anlass gegeben wäre, ein Projekt, ein Theater, ein Gespräch über Mädchen zu führen, über Schönheitsideale, Zwangsverheiratung oder die gläserne Decke. Dass das aber nicht gemacht werde, weil man nicht dafür ist. „Wer ist man?“, fragt Birgit Frank sofort. Und das sind wohl wir alle, so die Meinung des Podiums.
Fixierte Rollen in der Kindheit hinterlassen Spuren
Der Staat hat die Geschlechtergerechtigkeit im Grundgesetz verankert, aber an Schulen passiert in dieser Hinsicht nicht viel. Waltraud Lučić weist darauf hin, dass Rollen prägen: Wenn Mädchen früher im Hauswirtschaftsunterricht Kochen gelernt haben und es heute als erwachsene Frauen immer noch können, wird das als Erfolg gesehen. Nils Pickert sagt, dass die pink-hellblau-Erziehung von Kindern sehr konsumgetrieben ist. Dass sie aber auch einen Backlash hinsichtlich der Werte von jungen Menschen verursacht, weil fixierte Rollen in der Kindheit selbstverständlich Spuren hinterlassen. Julia Korbik erinnert sich an ihre Abiturzeit, in der es Auszeichnungen in den naturwissenschaftlichen Fächern gab (und zwar Abos von Wissenschaftsmagazinen), aber nicht in den Sprachen. So wurden lauter Jungen offiziell gelobt, aber kein einziges Mädchen, die typischerweise eher in den Sprachen gut waren. Waltraud Lučić meint, dass das Aufteilen einer Klasse in Jungen und Mädchen häufig hilft, gerade in naturwissenschaftlichen Fächern über die Rollenzuschreibung „Mädchen können kein Mathe“ hinwegzukommen. Weil auch viele Mädchen denken: „Ich muss das nicht können, weil meine Mama das auch nicht konnte.“
In der Diskussion schließlich sprechen mehrere Frauen aus dem Publikum über eigene Erfahrungen, etwa dass Mädchen sich gerne von Jungen helfen dabei lassen, einen Beamer für einen Vortrag am Laptop anzuschließen. Trotz der Frauenbewegung. Oder dass Mädchen im Englischunterricht mit hoher Stimme über Schuhekaufen sprechen, wenn sie Dialoge üben sollen – geprägt von den Medien. Der Wunsch nach einer Sprache, die Frauen und Männer, Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler, gleichermaßen sichtbar macht, richtet sich an Waltraud Lučić. Dass der „Feminismus“ einfach ein Imageproblem hat, beklagen einige. Die „Feministin vom Dienst“ zu sein, ist unattraktiv – „Ich fände es unanständig, keine Feministin zu sein!“, bringt Nils Pickert als Gegenargument das Zitat der Rapperin Sookie.
Ich mach meine Liegestützen wie ich will!
Abschließend meint Pickert, es könne hilfreich sein, z. B. beim Thema Sexualität externe Personen, die extra geschult sind, in die Klassen zu bringen. Um die Autorität der Lehrkräfte nicht zu untergraben und wichtige Themen, die auch mit Rollenzuschreibungen verbunden sind, zu besprechen. Mit seiner Organisation Pinkstinks bietet er Theaterstücke oder Workshops für Schulen an. Er glaubt, dass der Feminismus trotz aller Backlashs nicht aufzuhalten ist. Waltraud Lučić freut sich über Ideen von Literaturlisten, Personenlisten oder Workshops an Schulen, die das Thema konkret aufgreifen. Und Julia Korbik ist zuversichtlich, dass Sprüche wie „Mach deine Liegestützen wie ein Junge!“ mit Sicherheit bald ausgestorben sein werden.
Nachbericht von Barbara Streidl
Die Veranstaltung fand in Kooperation mit der Gleichstellungsstelle für Frauen der Landeshauptstadt München statt.
Siehe dazu auch: Das Kleine feministische Lexikon des 21. Jahrhunderts